Interview mit Svenja Koch

"Wir wollen die Menschen ein bisschen pieksen, mehr nicht!"

Seit drei Jahrzehnten macht das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt mit seiner Aktion “Brot statt Böller1“ Schlagzeilen. Spenden statt Geld verpulvern lautet die Botschaft. Was genau steckt dahinter? Im Gespräch mit Britta Zachau erklärt Svenja Koch, Pressesprecherin von Brot für die Welt2, wen die Aktion erreichen soll, was von den Spenden gekauft wird und dass niemand das Feiern an Silvester verteufeln will. Doch im Feuerwerksgeschäft eine Spendendose aufzustellen, ginge ihr auch zu weit: “Ich glaube nicht, dass es die Intention der Aktion ist, diese beiden Welten zu harmonisieren.”

  • Silvester.in: Zünden Sie selbst Feuerwerk an Silvester?

    Svenja Koch: Ich mag gestaltete Feuerwerke wie “Rhein in Flammen3”, die Pyronale4 hier in Berlin oder barocke Feuerwerke in Herrenhausen5. Die schaue ich mir gerne aus der Entfernung an. Ich bin allerdings kein Fan von dicht gedrängten Menschenmengen, wo jede seine Knaller zündet und es unter dem eigenen Mantel knallt und zischt. Das ist mir immer ein bisschen unheimlich, insofern meide ich so etwas persönlich. Und ich mag es auch lieber, auf Feiern noch ein bisschen mit den Leuten zusammenzusitzen und ein Glas Wein zu trinken, anstatt nach draußen zu gehen und in Nebelschwaden von Feuerwerkskörpern zu stehen.

  • Silvester.in: Können Sie das Anliegen von “Brot statt Böller” in wenigen Worten beschreiben?

    Svenja Koch: “Brot statt Böller” wendet sich an Menschen, die zu Silvester auch nicht unbedingt gerne knallen und ballern, weil sie das als Verschwendung von Ressourcen empfinden. Denen geben wir die Möglichkeit, das Geld zu spenden, damit wir es in Hilfsprojekten einsetzen und Menschen unterstützen können, die weniger haben als wir hier in Deutschland.

  • Plakat "Brot statt Böller" - "Freude teilen" ist das Motto der Aktion © Brot für die Welt

    Silvester.in: Was hat Feuerwerk denn genau mit Hunger in der Welt zu tun?

    Svenja Koch: Wir setzen uns dafür ein, dass alle Menschen auf der Welt genug zu essen haben. Und dieses Ziel ist noch in weiter Ferne, weil 800 Millionen Menschen hungern. Wir nutzen Anlässe im Jahresverlauf, um auf dieses Problem immer wieder aufmerksam zu machen. Gerade an Silvester werden die Menschen durch den Slogan “Brot statt Böller” aufmerksam, es ist ein Hingucker. Viele kennen diese Aktion, weil sie schon seit dreißig Jahren läuft.

  • Silvester.in: Wie ist die Idee dazu entstanden?

    Svenja Koch: Vor dreißig Jahren hat eine Kirchengemeinde zum Jahresende zum Innehalten aufgerufen. Wenn man Bilanz zieht, stellt man meist fest, dass es einem gut gegangen ist, während es andere Leute gibt, denen es nicht so gut geht. Wäre es nicht schön, deshalb zum Jahresende mit anderen zu teilen durch eine Spende an Brot für die Welt? Die Aktion ist besonders geeignet für Menschen, die keine Silvesterfeuerwerksfans sind. Das war damals der Ansatz.

  • Silvester.in: In welchem Zusammenhang steht Ihre Aktion mit dem Aufruf der christlichen Jugendverbände in München6, die auch mit dem Slogan “Brot statt Böller” auftreten?

    Svenja Koch: “Brot statt Böller” ist kein geschützter Markenname. Die Aktion ist im Zusammenhang mit Brot für die Welt, dem evangelischen Hilfswerk, erfunden worden. Alle evangelischen Kirchengemeinden in Deutschland können sich natürlich daran beteiligen. Und insofern steht auch die Münchener Variante im Zusammenhang mit unserer Aktion.

  • Silvester.in: Sie haben schon kurz angesprochen, wen sie mit Ihrem Anliegen ansprechen wollen: Menschen, die keinen besonderen Spaß daran haben, zu böllern und die sich zum Jahresende ein paar mehr Gedanken machen. Können Sie die Zielgruppe noch genauer beschreiben?

    Svenja Koch: Zum Einen sind das die Menschen, die Silvesterfeuerwerk komplett ablehnen. Menschen, die extra auf die ostfriesischen Inseln flüchten, wo die Knallerei nicht so stark ist. Zum Zweiten wenden wir uns an Menschen, die Feuerwerk bewusst einsetzen und vielleicht ein, zwei Raketen und ein bisschen Kinderfeuerwerk machen, wobei sie sich bewusst sind, dass das etwas Besonderes ist. Diese Menschen entscheiden dann häufig, dass sie die Freude, die sie daran haben, teilen wollen, und unterstützen daher die Aktion “Brot statt Böller”. Ich glaube, dass wir diejenigen, die mit dem einem Einkaufswagen voller Knaller und Böller und Raketen aus dem Supermarkt kommen, nicht erreichen können. Diese Menschen werden wir mit unserem Slogan höchstens provozieren.

  • Silvester.in: Wofür werden die Spendengelder genau verwendet?

    Svenja Koch: Wir haben über 2000 Hilfsprojekte auf der ganzen Welt, die zu verschiedenen Themen arbeiten. Zum Beispiel geht es darum, sich in Ruanda - einem ehemaligen Bürgerkriegsland - dafür einzusetzen, dass die Menschen ihre Gärten vielseitig anbauen und ihre Landwirtschaft so betreiben, dass sie bessere Erträge haben und sich und ihre Familien gesund ernähren können. Ein zweites Beispiel ist Angola, wo wir dafür sorgen, dass Menschen nicht von Großinvestoren von ihren Ländereien vertrieben werden. Menschen, die von ihrem Land leben, müssen auch dort bleiben können.

  • Silvester.in: Wenn man für “Brot statt Böller” spendet, wohin genau fließt das Geld? Kann man wissen, für welches Projekt es eingesetzt wird?

    Svenja Koch: Das ist eine allgemeine Spende an Brot für die Welt, die ist nicht für ein spezielles Projekt bestimmt. Das heißt: Wir können entscheiden, wo diese Gelder am nötigsten gebraucht werden. Da sind wir sehr dankbar für das Vertrauen der Spender. Wir haben dann auch die Möglichkeit, Projekte zu unterstützen, die in vergessenen Regionen liegen. Es gibt zum Beispiel jedes Jahr eine größere Hungersnot südlich der Sahara. Da herrscht leider eine gewisse Spendenmüdigkeit, weil das Problem regelmäßig auftritt. Über Spenden wie die durch “Brot statt Böller” können wir auch diese Initiativen unterstützen.

  • Silvester.in: Wie kann man als Spender sicher sein, dass das Geld wirklich dort ankommt, wo man es haben möchte?

    Svenja Koch: Wir als Brot für die Welt haben das DZI-Spendensiegel7. Bei der Vergabe überprüft das DZI-Institut ganz genau nach, ob wir die Kriterien für eine empfehlenswerte Organisation erfüllen. Wie wird nachgewiesen, wohin das Geld fließt? Wie steht es mit dem Verwaltungskostenanteil, das heißt: Wie viel von der Spendensumme bleibt im eigenen Land? Nur, wenn man den Anforderungen entspricht, bekommt man das DZI-Spendensiegel. Brot für die Welt wird bald 60 Jahre alt. Und wir werden von 14.000 Kirchengemeinden in Deutschland getragen, außerdem aus staatlichen Mitteln, Kirchensteuern und Spenden und Kollekten finanziert. Insofern ist da natürlich auch eine große Verpflichtung, immer wieder genau nachzuweisen, was mit den Geldern passiert und welche Projekte welche Menschen unterstützten. Da stehen wir unter Beobachtung und das ist auch gut so.

  • Silvester.in: Es gibt ja auch viele andere soziale Projekte, die in der Zeit um Weihnachten und Silvester dafür werben, zu spenden. Was unterscheidet “Brot statt Böller” von diesen und warum sollte man an Silvester ausgerechnet Ihr Projekt unterstützen?

    Svenja Koch: Die meisten Hilfs- und Spendenorganisationen nehmen etwa ein Drittel ihrer Jahreseinnahmen in dieser Zeit ein. Denn für viele Menschen ist die Weihnachtszeit, wenn man Geschenke macht und sich überlegt, wem man etwas Gutes tun kann, die Zeit, wo man auch an andere denkt und Spendenprojekte unterstützt. Zwischen den Jahren ist nach unserer Erfahrung dann die Zeit, in der man zurückblickt, sich besinnt und gute Vorsätze für das neue Jahr macht. Insofern sind auch für uns die Weihnachtsfeiertage und das Jahresende die wichtigste Spendenzeit im Jahr. “Brot statt Böller” passt sehr gut da hinein und funktioniert seit dreißig Jahren.

  • Silvester.in: Es gibt viel Kritik an dem Konzept, den Hunger in der Welt inhaltlich mit dem Feiern an Silvester zu verknüpfen. Was können Sie den Kritikern entgegnen, wie rechtfertigen Sie diesen Slogan?

    Svenja Koch: Der Slogan ist ja sehr griffig und einprägsam. Und er erfüllt den Zweck, dass man stutzt, über die beiden Worte mit “B” nachdenkt und dann sich angeregt und provoziert fühlt. Man erreicht die Menschen mit diesem Slogan. Das Thema Hunger in der Welt ist ein latentes, es besteht das ganze Jahr über. Und natürlich hat jeder seine eigenen Sorgen und Nöte und da ist es gar nicht so leicht, die Aufmerksamkeit zu erregen. Wir finden es nicht schlimm, dass es keinen direkten Zusammenhang gibt, also beispielsweise nicht versprochen wird: Pro Feuerwerkskörper gibt es zwanzig Brote. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu unterstützen, ohne dass etwas eins-zu-eins umgesetzt werden muss – wie zum Beispiel bei den Losen der Aktion Mensch8. Es wird von den Spenden also auch etwas anderes gekauft als Brot.

  • Silvester.in: Das wird vielleicht manchmal missverstanden. Viele denken, Sie verteufeln das Feiern und Spaß haben.

    Svenja Koch: Nein, das verteufeln wir nicht. “Brot statt Böller” ist keine Spaßverderberei. Wir wollen die Menschen ein bisschen pieksen, mehr nicht. Es gab auch schon die interessante Debatte, ob man das nicht kombinieren könnte: im Feuerwerksladen die Spendendose aufstellen oder eine ökologische Rakete entwickeln, um diese beiden Welten miteinander zu verbinden. Ich glaube allerdings nicht, dass es die Intention der Aktion ist, das zu harmonisieren. Das ist eine Entweder-oder-Entscheidung, die jedem frei gestellt ist – genauso wie die Entscheidung, wie man darüber urteilen möchte. Wir haben keine Initiativen, Feuerwerke zu verbieten. Man könnte natürlich auch sagen: “Brot statt Handys”, “Brot statt Billig-T-Shirts” oder “Brot statt Fast Food”, natürlich gibt es davon viele Varianten, weil es sehr viele Konsumartikel gibt, die man infrage stellen könnte. Aber es ist eben der Klang, der eingängiger ist: “Brot statt Böller”, beides mit “B”. Außerdem ist ein Feuerwerk in Sekunden vorbei, das macht es daran besonders anschaulich. Da gehen mindestens 100 Millionen Euro im wahrsten Sinne des Wortes innerhalb von zwei, drei Stunden in die Luft. Glücksforscher sind sich einig, dass eine positive Verbundenheit mit der Umwelt und mit dem Umfeld ganz wichtige Glücksfaktoren sind. Man sollte sich also überlegen: Was ist mir wichtig? Was brauche ich, um Silvester freudig zu begegnen?

  • Silvester.in: Was plant Brot für die Welt für die Zukunft?

    Svenja Koch: An “Brot statt Böller” wird sich erst einmal nichts ändern, weil es auch immer so interessante Debatten darüber gibt, jedes Jahr auf‘s Neue. Davon abgesehen hat Brot für die Welt immer neue Themen und Projektschwerpunkte. Wir werden uns in den nächsten Jahren über den Hunger hinaus mit dem Thema Mangelernährung befassen, mit dem sogenannten “stillen Hunger”. Die Menschen, die darunter leiden, nehmen genug Kalorien zu sich, aber sind trotzdem nicht gesund, weil zum Beispiel Eisen- oder Vitamin-A-Mangel herrscht. Das erhöht das Risiko, zu erblinden, oder als junge Frau im Kindbett zu sterben.

  • Silvester.in: Zum Abschluss würden wir gerne wissen: Wie viele Tage vor Silvester planen Sie, was Sie zum Jahreswechsel machen?

    Svenja Koch: Ich bin ein sehr kurzfristiger Silvester-Planer. Ich plane nach Weihnachten.

  • Silvester.in: Wie viele Vorsätze haben Sie zum Jahreswechsel im Durchschnitt?

    Svenja Koch: Ich mache mir nur drei Vorsätze.

  • Silvester.in: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Svenja Koch führte Britta Zachau. Wenn du Fragen zum Interview hast, erreichst du Britta einfach per E-Mail unter [email protected].


Quellen und Verweise

1 Brot statt Böller - Spendenaktion von Brot für die Welt 2 Brot für die Welt - Evangelisches Hilfswerk 3 Rhein in Flammen - Feuerwerkspektakel entlang des Rheins 4 Pyronale - Das Feuerwerk-World-Championat 5 Internationaler Feuerwerkswettbewerb - Feuerwerk vor der einzigartigen Kulisse der Herrenhäuser Gärten 6 Brot statt Böller - Aktion der evangelischen Jugend München 7 DZI - Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen, Spendensiegel Brot für die Welt 8 Aktion Mensch - Aktion Mensch Lotterie